Modulares und serielles Bauen – Eindrücke vom VDI-Wissensforum

14. Mai 2025, Karlsruhe. Was wie eine nüchterne Fachtagung beginnt, entpuppt sich als ein Weckruf für die gesamte Bau- und Planungskultur in Deutschland. Auf dem diesjährigen VDI-Wissenschaftsforum trafen sich Vordenkerinnen und Vordenker aus Wissenschaft und Praxis, um über nichts Geringeres als die radikale Umgestaltung des Bauwesens zu diskutieren: Das serielle und modulare Bauen steht im Zentrum – als Antwort auf Fachkräftemangel, Preisdruck und die immense Herausforderung, bezahlbaren und klimaneutralen Wohnraum zu schaffen.


Eröffnet wurde das Forum von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter (TUM) und Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Arch. Elisabeth Endres (KIT). Ihre Botschaft war klar: Wer künftig noch denkt, man könne mit konventionellen Mitteln die Wohnraummisere bewältigen, hat den Strukturwandel im Bauwesen verschlafen.

Der Unterschied ist nicht akademisch

Die Debatte um modulare versus serielle Bauweise ist nicht bloß eine Wortklauberei – sie offenbart eine strukturelle Unschärfe in der Baupraxis. „Systembauweise“ und „Modulbau“ werden oft synonym verwendet, obwohl es technische und rechtliche Unterschiede gibt. Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal: Bauprodukt versus Bauart. Was das Werk verlässt, ist ein Bauprodukt – dafür braucht es eine Verwendbarkeitsbescheinigung. Die Bauart – also das Zusammenfügen – benötigt eine Anwendbarkeitsbescheinigung. In der Realität führt das zu einem Wirrwarr an Zulassungsprozessen, die dringend harmonisiert werden müssen.

Warum wir scheitern – und wie wir es ändern können

Professor Winter führte drastisch vor Augen, warum wir trotz Digitalisierung und Normierung im Bauwesen auf der Stelle treten:

  • Uneinheitliche Förderrichtlinien im sozialen Wohnungsbau,

  • widersprüchliche Landesregelungen zur Musterbauordnung,

  • fehlende Berücksichtigung seriellen Bauens in der Bauleitplanung,

  • architektonische Dogmen und überholte Vergabeverfahren,

  • und eine Normung, die mit der Realität kaum Schritt hält.

Strategiewechsel mit System – aber nicht systemlos

Die industrielle Bauweise hat längst gezeigt, was sie leisten kann: Typengenehmigungen, die bislang nur in Bayern, NRW, Hessen und Sachsen-Anhalt greifen, ermöglichen serielle Replikationen – jedoch nur, wenn identische Wiederholungen realisierbar sind. Wer denkt, Modulbau sei normativ geregelt, irrt. Gerade die Anschlusspunkte zwischen Modulen und Bestandsbau sind oft unterdefiniert. Doch Hilfe naht: Die neue DIN 1052-11:2025 sowie die aktualisierte Muster-Holzbaurichtlinie 2024 schaffen erstmals eine belastbare Grundlage für modulare Systeme aus Holztafelelementen – inklusive Schallschutz, Brandschutz und Fassadendetails bis Gebäudeklasse 5.

Einfach bauen heißt: umdenken

Dr. Ernst Böhm (B&O Gruppe) formulierte seine Vision radikal: „Man würde nie auf die Idee kommen, ein Fahrrad aus 2.500 Einzelteilen auf der Straße zu montieren. Warum machen wir das beim Bauen?“ Sein Vorschlag: ganzheitlich denken, einfach bauen. Ausschreibungen sollten sich nicht an einzelnen Gebäuden orientieren, sondern an Lösungen – „1x60 Dreifachturnhallen statt 60x1“, so Böhm. Nur durch industrielle Vorfertigung, Entkopplung von Roh- und Ausbau, und der Abkehr vom traditionellen Gewerkedenken lassen sich 50 % Kosten, Zeit und Bürokratie einsparen.

Der digitale Zwilling ist kein Gimmick

Besonderes Augenmerk verdient der digitale Planungsansatz. Mithilfe von 3D-Laserscanning und BIM entstehen digitale Zwillinge, auf deren Grundlage millimetergenaue Produktion erfolgt – eine Strategie, die auch bei ecoworks in der seriellen Sanierung bereits Realität ist. Winter sprach von „Flexibilität durch Detailsicherheit“: Lieber fünf perfekt durchgearbeitete Standarddetails als tägliche Sonderlösungen.


Für Estland: neue Anschlussfähigkeit durch industrielle Logik

Für Unternehmen aus Nordosteuropa – insbesondere Estland – ergeben sich daraus konkrete Anknüpfungspunkte. Die in Karlsruhe diskutierten Impulse rund um standardisierte Holztafelelemente, digitale Zwillinge, Typengenehmigungen und industrielle Vorfertigung schaffen neue Kooperationspotenziale entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Als Strategieberaterin und Expertin für internationale Industriekooperationen, zugleich Mentorin für das Wirtschafts- und Klimaministerium sowie die Wirtschaftsförderung, arbeite ich gezielt daran, leistungsfähige Ingenieur- und Digitalisierungsfirmen sowie Holz- und Modulbauunternehmen mit Partnern in Deutschland zusammenzubringen. Ziel ist es, komplementäre Kompetenzen zu verbinden, industrielle Projekte beidseitig effizienter zu gestalten und neue Formen strategischer Zusammenarbeit zu ermöglichen – praxisnah, skalierbar und international anschlussfähig.

Fazit: Der Standard ist die neue Freiheit

In Karlsruhe wurde deutlich: Wer heute von „Standardisierung“ spricht, meint nicht Einheitsarchitektur, sondern Präzision, Planungssicherheit und schnelle Umsetzung. Die Zukunft des Bauens liegt in der industriellen Vorfertigung mit Holztafelelementen, der Integration digitaler Werkzeuge und einer mutigen Vereinfachung von Prozessen. Was fehlt, ist der politische Wille zur Harmonisierung der Regularien und zur konsequenten Förderung industrieller Methoden. Wenn es der Automobilindustrie gelingt, Vielfalt auf Plattformen zu bauen – warum nicht auch im Wohnbau?

Wer weiterhin glaubt, man könne mit herkömmlichen Mitteln Millionen Wohnungen effizient und klimaneutral sanieren, verkennt die Realität. Karlsruhe war nicht bloß ein Forum – es war ein Manifest.


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